Abschaffung des Transsexuellen­gesetzes – „Ich wünsche meinem schlimmsten Feind nicht, trans zu sein“

LVZ

Nach mehr als 40 Jahren soll das Transsexuellengesetz in diesem Jahr abgeschafft werden. Wie schwer war es in den 1980er-Jahren, trans zu sein? Ist es heute leichter? Janka Kluge und Eli Kappo über den Kampf um Selbstbestimmung. Ein Blick aus zwei Generationen.

Janka Kluge ist 1959 in Stuttgart als vermeintlicher Junge geboren, arbeitet als Journalistin für verschiedene Medien und ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Sie ist Herausgeberin des Buches „Einfach selbstbestimmt“ (erscheint am 7. März). Eli Kappo (31) engagiert sich seit Jahren für Trans-Rechte. Kappo schreibt über die eigenen Erfahrungen mit Transition und Detransition im Blog shesindetransition.

 Frau Kluge, wie war das damals, als Sie sich geoutet haben?

Janka Kluge: Meine Familie hat extrem ablehnend und feindlich reagiert. Das war Anfang der Siebzigerjahre und es war eine Zeit, in der das Thema Trans überhaupt noch nicht in den Medien war, überhaupt nicht präsent war. Dass es trans Menschen gibt, war keinem bewusst. Wenn überhaupt, dann haben die Leute an die Travestiekünstlerinnen „Mary and Gordy“ gedacht. Für mich war die Einführung des Transsexuellengesetzes (TSG) 1981 deswegen ein ganz wichtiger Schritt. Das hat mir buchstäblich das Leben gerettet.

Wie meinen Sie das?

Kluge: Ich habe in Berlin studiert und über eine Kontaktanzeige andere trans Frauen gefunden, die alle auf den Strich gegangen sind. Es gab für trans Menschen einfach keine legale Möglichkeit, so zu leben wie man ist. Ich habe damals in Berlin Häuser besetzt, demonstriert gegen AKWs und Nazis und konnte mir Prostitution für mich nicht vorstellen. Dann dachte ich, vielleicht bin ich ja doch schwul und traue mich nur nicht, mit Männern intim zu werden. In der Berliner Schwulenszene habe ich dann wunderbare Menschen kennengelernt, aber auch gemerkt, dass ich einfach nicht schwul bin.

Wie ging es dann weiter?

Kluge: Ich hatte das Gefühl, für mich gibt es keinen Ort auf der Welt. Es gibt einfach keinen Platz. Das war eine ganz schreckliche Zeit. Ein Suizid war der einzige Ausweg, den ich gesehen habe. Ich hatte es schon geplant und dann habe ich eine kleine Notiz über das TSG in der Zeitung gelesen. Diese kleine Notiz hat verhindert, dass ich mich 1980 umgebracht habe. Deswegen sage ich bis heute, dass das TSG mir das Leben gerettet hat.

Herr Kappo, Sie haben sich 30 Jahre später geoutet. Wie war das bei Ihnen?

Eli Kappo: Ich wusste relativ früh, dass es Transgeschlechtlichkeit gibt und dass das etwas mit mir zu tun hat. Als die trans Sängerin Dana International 1998 den Grand Prix gewann, wurde in meiner Familie sehr viel darüber diskutiert, wie gut sie als Frau durchgeht. Für mich war aber auch schon immer klar, dass es ein sehr schwieriger Weg ist. Einen sozialen Tod sterben und dann weiterleben als neue Person – das waren die Bilder, die ich im Kopf hatte. Ich bin viele Jahre sehr unglücklich gewesen, hatte einen großen Leidensdruck. Dann bin ich 2011 in die Sprechstunde einer Transgender-Ambulanz gegangen und habe gesagt: „Ich glaube, ich bin transsexuell.“ Das waren meine Worte. (lacht) Das TSG war für mich wie eine Anleitung, wie ich das bekommen kann, was ich haben will. Es gab damals nichts anderes.

Heute ist das TSG umstritten und in Teilen sogar verfassungswidrig. Frau Kluge, würden Sie es noch verteidigen?

Kluge: Ich finde es total richtig und wichtig, dass die ganzen Punkte aus dem TSG rausgeklagt worden sind. Wir hatten 1980 einfach eine andere Gesellschaft als in den 2000er-Jahren. Ich bin vor einiger Zeit gefragt worden, ob ich bei einer Kampagne mitmache. Es sollte darum gehen, dass das TSG von Anfang an verfassungswidrig war. Ich habe gesagt: Ihr könnt die Kampagne machen. Ich beteilige mich nicht daran. Das ist nicht meine Geschichte. Mir hat das TSG damals eine Perspektive gegeben. Eine Hoffnung darauf, dass meine Identität anerkannt werden könnte. Ich hatte das Gefühl, jetzt habe ich eine Möglichkeit, ein Leben in Legalität und Würde zu führen.

Frau Kluge, ist es heute leichter, trans zu sein?

Kluge: Natürlich ist es für alle immer noch schwer. Es ist schwer, an diesen Punkt zu kommen, zu sich zu stehen. Aber es ist insoweit leichter, als das es mehr Wissen darüber gibt. Es ist mehr in der Gesellschaft drin. Es gibt auch immer mehr Eltern, die ihre Kinder einfach offen begleiten. Die sagen: „Ich bin nicht glücklich darüber, dass du so bist. Ich würde dir ein einfacheres Leben wünschen. Aber wenn du so bist, dann gehen wir den Weg gemeinsam.“ Das war in den Achtzigerjahren schier undenkbar. Von daher hat sich für viele die Situation verbessert. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist heute eine ganz andere.

Wie fühlt es sich heute an, trans Menschen repräsentiert zu sehen in Filmen oder Serien?

Kluge: Ich finde es gut, dass es mehr mediale Präsenz gibt. Auf der anderen Seite stören mich manchmal die Geschichten, die erzählt werden. Lange Zeit war es so, dass trans Menschen in Krimis die Opfer waren, die ermordet wurden. Es gab einige wenige Serien, in denen trans Menschen einfach als normale Menschen dargestellt wurden. Ein Positivbeispiel ist für mich das Outing einer trans Frau in der „Lindenstraße“. Ich fand auch den Diskurs, der darüber in der Serie geführt wurde, sehr erhellend und gut.

Heute lassen sich mehr junge Menschen behandeln, weil sie trans sind. Ist trans ein Trend?

Kluge: Wir sind in der glücklichen Situation, dass man sich heute mehr ausprobieren kann. Die Auseinandersetzung mit Geschlechtlichkeit, Rollenerwartungen und den ganzen Klischees setzt früher ein, als es noch zu meiner Zeit der Fall war. Das wird manchmal einfach falsch verstanden. Trans ist nicht Trend. Zum Glück nicht. Die Menschen, bei denen es so ist, die sollen diesen Weg möglichst gut und sicher gehen können. Aber ich wünsche meinem schlimmsten Feind nicht, trans zu sein. Weil es so ein harter Weg ist. Auch heute noch.

Kappo: Es wird immer wieder behauptet, Jugendliche lassen sich vom Trans-Sein „anstecken“. Das ist Quatsch. Das Problem ist nicht, dass zu viele Menschen auf Tiktok gesehen haben, dass man trans sein kann. Das Problem ist, dass wir trans Menschen oft nicht ernst genug nehmen und unterstützen. Trans-Sein ist nach wie vor nicht willkommen in der Gesellschaft. Allein der politische Widerstand, aber auch die alltäglichen Erfahrungen von jungen trans Personen sind der beste Beweis. Sich zu outen, vor allem in jungem Alter, hat nur Nachteile. Es ist mit sehr großen Hürden verbunden, mit Mobbing­erfahrungen und Ausgrenzung. Die Freundeskreise von trans Personen, die teilweise nur aus queeren Menschen bestehen, sind ja oft eine Konsequenz der Flucht vor der Transfeindlichkeit der restlichen Welt.

Führt mehr Repräsentanz auch zu mehr Gewalt?

Kappo: Ich denke, es gibt gerade wieder mehr trans- und queerfeindliche Gewalt, weil wir eine allgemeine Rechtsbewegung in der Gesellschaft haben. Die Fortschritte der letzten Jahre und vor allem auch die größere Sichtbarkeit von trans Personen stoßen auf politischen Widerstand aus der konservativen Richtung.

Macht Ihnen das Angst?

Kappo: Ich habe im Alltag immer ein gewisses Angstgrund­rauschen. So lange, wie ich als trans Person mein Leben gelebt habe, habe ich mich immer gefragt: „Was, wenn mich jemand als trans erkennt?“ Diese Angst war auch immer da, wenn ich mich als trans geoutet habe. Da ist ein Unsicherheits­gefühl und das kennen eigentlich alle trans Personen.

Kluge: Ich fühle mich nachts manchmal unsicher, wenn ich in Ecken unterwegs bin, die schlecht beleuchtet sind. Wenn mir Männer entgegenkommen, weiche ich aus. Das ist natürlich ein Vorurteil. Aber auch mein Selbstschutz. Ich glaube aber nicht, dass ich Angst habe, weil ich trans bin, sondern weil ich als Frau erkennbar bin. Sie hören gerade im Hintergrund meinen Hund bellen. Wenn ich mit ihm unterwegs bin, dann habe ich absolut keine Angst. Dann gehe ich durch jede dunkle Gasse. Mit ihm wird mir nichts passieren.

Ist der Hund groß?

Kluge: Er ist sehr groß und sehr stark. Der passt gut auf mich auf.

Herr Kappo, Sie haben Teile Ihrer Transition angehalten beziehungsweise rückgängig gemacht. Ist eine solche Detransition ein Argument gegen Transition?

Kappo: Es gibt einen sehr großen Druck, dass die Transition ein voller Erfolg sein muss. Aber das ist kein zweifelsfreier Raum. Relativ viele trans Personen machen Teile ihrer Transition aus inneren oder äußeren Gründen zumindest teilweise rückgängig. Das kann auch medizinische Gründe haben. Vielleicht hat die Person gerade keinen Zugang zu Hormonen beispielsweise. Oder der soziale Druck, als trans Person nicht mehr offen zu leben, ist zu groß. Eine Detransition bedeutet nicht immer, dass man die Transition selbst bereut, und grundsätzlich kann Reue bezüglich einiger Entscheidungen auch dann auftreten, wenn ein Mensch keine Zweifel in Bezug auf die Transition an sich hat. So, wie jede Lebensentscheidung bereut werden kann.

Wissenschaftlich ist es mittlerweile erwiesen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Hätte es Ihnen geholfen, wenn Sie sich nicht hätten entscheiden müssen für Mann oder Frau?

Kappo: Auf jeden Fall. Als ich mich für die Transition entschieden habe, war für mich klar: Ich kann nur glücklich werden, wenn ich in einem Geschlecht ankomme und da auch glücklich bleibe. Ich bereue es nicht, dass ich diesen Weg gewählt habe. Aber hätte ich die anderen Möglichkeiten gesehen, dann hätte ich das vielleicht anders gemacht.

Frau Kluge, können Sie das nachvollziehen?

Kluge: Für mich war es anders, ich definiere mich als binär. Aber ich kann diesen Wunsch nach einem Weder-noch total nachvollziehen. Und mit dieser binären Sicht auf mich, komme ich auch an Grenzen. Mir ist absolut klar, wie ich zur Welt gekommen bin, und damit sind mir natürlich auch die Unterschiede zu Frauen, die einen anderen Weg hatten, klar. Das passt eigentlich nicht in die Binarität. Ich empfinde die Möglichkeit des Dazwischen als eine Freiheit, die wir früher nicht hatten. Auch wenn ich sie nicht genutzt hätte. Aber dass junge trans Menschen diese Unsicherheiten jetzt zulassen können und das weitestgehend akzeptiert wird, ist ein großer Schritt nach vorn.

Hatten Sie mal Zweifel an Ihrer Transition?

Kluge: Keine Sekunde. An keinem dieser Prozesse, die ich durchlaufen habe. Mit meiner angleichenden Operation habe ich zwei Jahre gewartet, weil ich Angst vor dem Eingriff hatte – nicht weil ich dachte, nicht trans zu sein. Es war 1989 und wir wussten wenig über diese Operationen. Und es ist ein schwerwiegender Eingriff, wenn der Penis amputiert wird. Das ist kein Sonntags­spaziergang, das ist nichts, was man nebenher macht. Zumal ich danach auch eine schwere Infektion hatte und eine Blutvergiftung und ausgeschabt werden musste. Die Begleitumstände waren also alles andere als schön. Trotzdem bereue ich nichts. Wenn ich etwas bereue, dann, diese Schritte nicht eher gegangen zu sein.

Kappo: Ich denke, das ist ein sehr glücklicher Fall bei dir, Janka, dass du diese Klarheit so hattest. Ich hatte das Gefühl in meinem Leben nicht, und anderen Leuten, mit denen ich drüber geredet habe, ging es ähnlich. Man ist sich nicht immer total sicher. Das sind große medizinische Entscheidungen mit hohen Risiken. Die trifft man nicht, ohne sehr intensiv darüber nachgedacht zu haben.

Warum dürfen Menschen ab 18 Jahren selbst entscheiden, ob sie sich die Brüste vergrößern lassen wollen, aber für eine Mastektomie braucht man ein Gutachten?

Kappo: Das hat sehr viel mit gesellschaftlichen Vorstellungen von richtigen und falschen Körpern zu tun. Wenn jemand einem bestimmten Bild von Geschlecht nicht entspricht, verursacht das bei manchen Menschen schwierige Gefühle – obwohl es ja überhaupt nicht um sie selbst, sondern um andere Leute geht. Der Druck sollte reduziert werden, in diese Bilder passen zu müssen. Und es ist auch keine besonders gesunde Entwicklung, wenn immer mehr junge Menschen sich kosmetischen Operationen unterziehen, um den gesellschaftlichen Anforderungen von Schönheit vermeintlich besser zu entsprechen.

Wird es irgendwann ganz normal sein, nicht cis zu sein, so wie es jetzt auch schon normaler ist, lesbisch oder schwul zu sein?

Kappo: Ist es denn inzwischen so „normal“, lesbisch oder schwul zu sein? Es gibt ja weiterhin homofeindliche Diskriminierung und die Feindlichkeit gegenüber queeren Personen nimmt eher zu in letzter Zeit. Das ist ja der Grund, warum wir uns als LGBTIQ nicht spalten lassen dürfen. Ich glaube, nur, wenn wir als Gesellschaft die Frauenfeindlichkeit, die Abwertung von Weiblichkeit an sich losgeworden sind, spielt es wirklich keine Rolle mehr, welches Geschlecht ein Mensch hat. Das ist, was eigentlich hinter dieser ganzen LGBTIQ-Feindlichkeit liegt.

Kluge: Ich finde diesen Begriff der Normalität für mich schwierig. Wir haben zwar juristische Erfolge gefeiert mit der Ehe für alle, aber am rechten Rand der Gesellschaft sind viele, die das nicht akzeptieren. Die sind immer noch der Meinung, eine Ehe ist nur zwischen Mann und Frau möglich. Von daher glaube ich, dass diese Normalität eher das Schweigen darüber ist, dass trans nicht akzeptiert wird. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Entscheidung einer trans Person für den einen oder anderen Weg respektiert wird. Und gleichzeitig eine Offenheit dafür, dass dieser Weg manchmal doch anders läuft als gedacht.

Was bedeutet Selbstbestimmung für Sie?

Kluge: Selbstbestimmung hat ganz viel mit dem ersten Teil des Begriffs, mit dem „Selbst“ zu tun. Mir konnte niemand, egal ob Psychologen, Psychiater oder was auch immer, austreiben, dass ich nicht trans bin. Selbst als ich noch keine Worte dafür hatte. Ich habe über mich selbst eine Aussage getroffen und das bedeutet Selbstbestimmung. Jede Person hat das Recht, über sich zu sagen, was sie über sich empfindet.

Kappo: Ich muss das Gefühl haben, dass ich das Leben leben kann, das ich für mich möchte. Also ich muss einen Job finden können, eine Wohnung, ich muss medizinische Versorgung bekommen, ich darf nicht diskriminiert, angegriffen, beleidigt oder ermordet werden. Ein Gesetz wie das Selbstbestimmungs­gesetz ist wichtig und gut, wenn es genau das durchsetzt. Es muss auch wirklich reale Konsequenzen für mein Leben haben und auch für das gesellschaftliche Miteinander. Da müssen wir als Gesellschaft dran arbeiten.

Das Transsexuellengesetz

Bei seiner Einführung 1981 galt das Transsexuellengesetz (TSG) als fortschrittlich. Erstmals konnten trans Personen ihren Geschlechtseintrag offiziell ändern. Die meisten der Bedingungen, die das TSG an trans Personen stellte, wurden jedoch im Laufe der Jahre für verfassungswidrig erklärt. Der Grund: Sie verstoßen massiv gegen die Grundrechte von trans Personen. Unter anderem schrieb das TSG vor, dass sich trans Personen geschlechtsangleichenden Operationen unterziehen müssen – auch, wenn sie das gar nicht wollen (Paragraf 8 Absatz 1 Nummer 4). Zudem mussten sie sich sterilisieren lassen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG) und von ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin scheiden lassen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2). Heute gilt das TSG als veraltet und soll durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Demnach sollen Geschlechtseinträge und Vornamen künftig per Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden können. Das Gesetz soll laut Beschluss des Bundeskabinetts am 1. November 2024 in Kraft treten.